BORKEN/KREIS. Dr. Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen, ist der Gastredner des diesjährigen Moos-Dinners des Lions-Clubs. Dieses findet am kommenden Montag, 13. Februar, im Rittersaal des Schlosses Raesfeld statt. Der Erlös des Dinners dient der finanziellen Unterstützung von Kinder-, Jugend- und Familienprojekten des Lions Clubs. Im August 2021 wurde Jaeckel vom damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet für mehrere Monate zum Beauftragten des Wiederaufbaus in den Flutgebieten nach dem verheerenden Hochwasser ernannt. Unter anderem darüber sprach BZ-Redakteur Peter Berger vorab im Interview mit Dr. Jaeckel.
BZ: Welche Fortschritte macht der Wiederaufbau in den von der Flut betroffenen Regionen?
Jaeckel: Der Wiederaufbau ist keine Sache von Wochen oder Monaten, sondern von Jahren. Das muss jedem klar sein. Zunächst ging es darum, schnell die elementare Infrastruktur wiederherzustellen, als Grundvoraussetzung des eigentlichen Wiederaufbaus. Mit Blick auf NRW kann ich sagen: Es gibt große Fortschritte. Aber es wird dauern. In Sachsen wurden die letzte Baumaßnahmen nach der Elbeflut 2013 erst 2021 abgeschlossen.
BZ: Wie ist die Bewältigung der Flutkatastrophe an der Elbe zu unterscheiden von der in NRW und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021?
Jaeckel: Es war 2021 punktueller, aber von der Zerstörungskraft gewaltiger. Sachsen war 2013 flächendeckend betroffen. Das Ausmaß hängt mit der Topografie zusammen, speziell mit der engen Kerbtal-Lage. Durch Altena und Bad Münstereifel ist das Wasser mit unglaublicher Wucht durch die engen Gassen geschossen. Nicht ganz so im medialen Fokus standen Hagen und Leverkusen. Allein in Hagen gab es 800 geschädigte Unternehmen.
BZ: Welche Tugenden muss ein guter Krisenmanager mitbringen?
Jaeckel: Das erste ist die Bereitschaft, sich wirklich ernsthaft mit den Problemen vor Ort auseinanderzusetzen. Man muss in der Lage sein, den Überblick zu behalten. Es hilft nichts, zu 1000 Geschädigten zu gehen und sich deren Probleme anzuhören. Die haben sie im Zweifel schon anderen gesagt. Ich war mindestens drei Tage in der Woche in Düsseldorf und bin von dort oft in die Flutgebiete gefahren. Dann muss man aufrichtig und klar in der Kommunikation sein. Und man darf keine Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Und schließlich sollte man jede Menge Lust darauf haben, eine Zeit lang hart zu arbeiten. Das Befriedigende ist: Man kann eine Menge bewegen.
BZ: In den Medien wurde wiederholt über die vermeintlich schleppende Gewährung von staatlichen Hilfen berichtet. Wie sehen Sie das?
Jaeckel: Schwierigkeiten gibt es in der Anlaufphase solch komplexer Herausforderungen immer. Einige Medien transportierten vor allem diese Nachrichten. Ich habe da durchaus andere Erfahrungen gemacht: Ich erinnere mich, wie eine Frau nach einer Veranstaltung auf mich zukam und sich sehr herzlich für die Unterstützung beim Aufbau ihres Fachwerkhauses bedankt hat. Für manche Kritik habe ich weniger Verständnis...
BZ: Welche?
Jaeckel: Wenn qualifiziert ausgebildete Menschen sich darüber beschweren, dass sie zur Beantragung von öffentlichen Hilfsgeldern ein Formular ausfüllen müssen, dass nicht komplizierter als die jährliche Steuererklärung ist, dann finde ich das nicht redlich. Bei öffentlichem Geld, das die Steuerbürger, also wir alle, zur Verfügung stellen, ist es doch absolut korrekt, wenn es einen Antragsweg gibt und die Verwendung überprüft wird. Die Kritik an dem Procedere scheint aber längst abgeebbt zu sein.
BZ: Schwenken wir von der Bewältigung von Naturkatstrophen zur Bewältigung der aktuellen Krisen: Wie krisenfest ist die Wirtschaft in der Region?
Jaeckel: Bisher hat sich die regionale Wirtschaft als sehr transformationsfreudig und krisenfest erwiesen. Aber: Das geht so nicht weiter. Wir können nicht Krise auf Krise bewältigen. Wir müssen in einen Modus kommen, in dem die Betriebe wieder in einem normalen und verlässlichen Rahmen arbeiten können.
BZ: Die Konjunkturprognosen waren in jüngster Zeit nicht mehr ganz so trübe wie vor einem halben Jahr...
Jaeckel: Ja, aber es besteht überhaupt kein Anlass, sich zurückzulehnen. Es braucht einen Produktivitätszuwachs, nur so lässt sich langfristig ein Wohlstandsgewinn erzielen. Wir stehen unter erheblichem Wettbewerbsdruck, auch wegen der hohen Energiepreise. Die Industrie folgt der Energie. Das ist immer so bei Standortentwicklungen. Dass wir an einer schweren Rezession vorbeikommen, liegt sicherlich auch an dem 200-Milliarden-Euro-Paket des Bundes. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn das keinen Effekt haben würde.
BZ: Die Wirtschaft im Kreis Borken wird gelegentlich als „Tausendfüßler“ gelobt...
Jaeckel: Ja, und damit ist sie gegen Krisen schon mal besser gewappnet als Monostrukturen. Wenn in der Gegend nur Automobilzulieferer wären, dann gäbe es bei einer Krise der Autobranche ein Riesenproblem. Oder ein anderes Beispiel aus den neuen Bundesländern: Wir hatten dort eine relativ starke Solarwirtschaft aufgebaut. Als China die Solartechnik billiger auf den Markt geworfen hat, waren die deutschen Firmen innerhalb weniger Jahre wieder verschwunden. Ein breiter Mittelstand und Branchenvielfalt sind ganz sicher besser, um nicht so krisenanfällig zu sein. Nach dem Niedergang der Textilindustrie hat es das Westmünsterland geschafft, sich zu diversifizieren. Es ist ohne dauerhafte Subventionen erfolgreicher geworden als andere Regionen, die versucht haben, ihre alten Strukturen mit Staatsgeld aufrechtzuerhalten.
BZ: Sie werden beim Moos-Dinner über „Ressourcen als Standortkriterium“ sprechen. Was meinen Sie damit?
Jaeckel: Damit unsere Region auch langfristig wettbewerbsfähig bleibt, sollten wir den Begriff bewusst weit fassen. Ressourcen, das sind natürlich qualifizierte Mitarbeiter, das sind Rohstoffe, Vorprodukte, Lieferketten. Es kommen aber neue zusätzliche Herausforderungen auf uns zu. Bei Gewerbeansiedlungen hören wir immer öfter die Frage, wie es eigentlich um die Wasserversorgung steht. Das Thema Wasser wird uns mit Blick auf den Klimawandel noch intensiv beschäftigen. Ebenso die Ressource Fläche: Da werden wir eine verstärkte Konkurrenz zwischen Gewerbeflächen und Ausbau der Erneuerbaren Energien erleben.
BZ: In Sachen Rohstoffe unternimmt die Bundesregierung einige Anstrengungen, Deutschland unabhängiger zu machen und neue Lieferanten zu gewinnen. Wie blicken Sie auf das Thema Rohstoffe?
Jaeckel: Deutschland gilt als rohstoffarm, aber diese Einschätzung wird von Geologen nicht unbedingt geteilt. Ich bin dafür zu schauen, ob und wie man die auch hierzulande existierenden Vorkommen nutzen kann, um Abhängigkeiten zu mildern. Im Erzgebirge beispielsweise gibt es Lithium. Im Leipziger Tieflandbecken ein Vorkommen von Seltenen Erden. Wir müssen uns damit beschäftigen, solche Materialien für unsere Wirtschaftskreisläufe selber zu gewinnen. Die Sande, die die Bauindustrie für den Wiederaufbau in den Flutregionen benötigte, wurden zum Teil aus Schweden und Norwegen herangeschafft. Natürlich geraten wir bei der Frage der Rohstoff-Erschließung immer ins Spannungsfeld mit dem Natur- und Landschaftsschutz.
BZ: Teile des Borkener Stadtgebietes galten bereits mal als potenzielle Erkundungsfläche für Frackinggas. Wäre das eine Alternative?
Jaeckel: Fracking ist nach geltendem Recht hierzulande verboten. Ich glaube nicht, dass es dafür eine politische Mehrheit geben wird.